Flucht und Vertreibung vor 75 Jahren

Peter Bulke/   Schicksalsjahr 1945 – es gibt viele damalige Ereignisse, die Anlass für eine Rückbesinnung bieten. Die Badische Zeitung begann  am 25. 03. mit einer doppelseitigen Serie.  – In Freiburg hatte noch rechtzeitig vor der Corona-Krise die Schlesische Landsmannschaft zu einer öffentlichen Informationsveranstaltung eingeladen, auf der ein Mitglied über das Thema Flucht und Vertreibung berichtete. Er verfügt über einen ungewöhnlich großen Schatz an Tagebuchaufzeichnungen und anderen Niederschriften seiner Vorfahren und anderen Verwandten. Dieser Veranstaltung soll noch eine zweite eines anderen Mitglieds folgen. – Obiges Foto zeigt den Freiburger Gedenkstein an die verlorene Heimat zahlreicher Freiburger Bürger.

Hier soll es aber nicht um persönliche Erlebnisse gehen, sondern es soll das riesige Ausmaß der damaligen Vorgänge aufgezeigt werden. Die Vertreibungsgebiete umfassten neben Ostdeutschland (östlich von Oder und Neiße) auch Staaten mit deutschen Minderheiten östlich und südöstlich davon. In diesem Gesamtgebiet lebten gegen Kriegsende mindestens 18 Mill. Deutsche, einschließlich ca. 1,5 Mill. in der UdSSR. Es kam zum größten Vertreibungsverbrechen  der Geschichte. Wenigstens 2,8 Mill. Zivilisten fanden dabei den Tod; denn die Vorgänge liefen zum Teil mit äußerster Brutalität ab. Gefallene Soldaten und Opfer des Bombenkrieges sind hier unberücksichtigt.

Nur ein Teil der ostdeutschen Bevölkerung floh vor dem Einmarsch der Roten Armee. Es gab Gemeinden, für die die Räumung zu spät oder überhaupt nicht angeordnet worden war. Auch konnten Menschen aus Städten nicht immer rechtzeitig fliehen, weil die Transportmöglichkeiten, vor allem der Bahn, begrenzt waren. Auch fiel es manchem Landbewohner schwer, den eigenen landwirtschaftlichen Betrieb zu verlassen. Die  zahlreichen Verbrechen der Roten Armee wurden durch die politische Hasspropaganda  in Verbindung mit Straffreiheit für Plünderungen und Vergewaltigungen  gefördert.

Etwa 800.000 Deutsche wurden als Arbeitskräfte in Arbeitslager der UdSSR verschleppt. Darunter waren 300.000 Russlanddeutsche, die während des Krieges nach Deutschland gekommen waren und nun repatriiert wurden. Wahrscheinlich sind etwa 40 % der Zwangsarbeiter umgekommen. Eine besondere Gruppe bildeten 40.000 Deutsche aus dem Banat (Rumänien). Sie wurden erst 1951 in die UdSSR deportiert.

In Ostdeutschland richteten die eingedrungenen Polen zahlreiche Sammellager ein, wo es vielfach zu sadistischen Quälereien kam. Am bekanntesten ist das Lager Lamsdorf in Oberschlesien. Hier starben 6.000 Menschen.  Es gibt Berichte, dass sowjetisches Militär gegen Brutalitäten der Polen und Tschechen eingeschritten ist.  Für den Vorgang der Vertreibung ist der polnische Befehl für die Stadt Bad Salzbrunn in Schlesien vermutlich typisch:   „1) Am 14. Juli 1945 ab 6 bis 9 Uhr wird eine Umsiedlung der deutschen Bevölkerung stattfinden.   2) Die deutsche Bevölkerung wird in das Gebiet westlich des Flusses Neiße umgesiedelt. (Hinweis: Entfernung 80 Km Luftlinie).   3) Jeder Deutsche darf höchstens 20 Kg Reisegepäck mitnehmen.   4) Kein Transport (Wagen, Ochsen, Pferde, Kühe usw.) wird erlaubt.   5) Das ganze lebendige und tote Inventar in unbeschädigtem Zustande bleibt Eigentum der Polnischen Regierung.  …   11) Alle Wohnungen in der Stadt müssen offen bleiben, die Wohnungs- und Hausschlüssel müssen nach außen gesteckt werden.“