„Fremde Welten“?

Peter Bulke/    Zu der Veranstaltung zu Ehren der in Afghanistan eingesetzten Soldaten und ebenso bei der Verabschiedungsfeier für die Bundeskanzlerin Merkel und dann auch für die Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer wurde  der  Große Zapfenstreich aufgeführt. Dieser war Thema des Leitartikels von Dietmar Ostermann in der Badischen Zeitung vom 15. 10. Gleich die Überschrift Fremde Welten soll herausstellen, dass militärische Rituale wie der Zapfenstreich nicht in die Gefühlswelt einer postmilitärischen Gesellschaft passen. Er wecke bei manch zivilem Betrachter – offensichtlich auch bei ihm selbst – vor allem Assoziationen zur düstersten Zeit deutscher Geschichte. . . . Fackelmärsche eignen sich in diesem Land nicht als Sympathieträger. Ostermann erwähnt auch, dass das Bundesverteidigungsministerium „enttäuscht“ sei „über unsinnige, aber erwartbare NS-Vergleiche.“  Solche wurden ja nicht nur von der Badischen Zeitung vorgebracht. Wie unsinnig solche Vergleiche tatsächlich sind, zeigt allein schon der Zeitraum von über 60 Jahren, in dem die Bundeswehr besteht, während die NS-Zeit lediglich 12 Jahre dauerte und der Zapfenstreich auch damals nicht erfunden, sondern aus Traditionsgründen übernommen worden war.

Zum Zapfenstreich: Die Bezeichnung geht auf eine Prozedur im 16. Jahrhundert zurück. Wenn Landknechte abends beim Trinken und Würfeln in Schenken oder Zelten zusammensaßen, kam zu bestimmter Zeit eine Art Militärpolizist; er schlug mit seinem Stock auf den Zapfen des Fasses und beendete damit das gesellige Zusammensein. Ihn begleiteten ein Pfeifer und ein Trommler. An die verwendeten Instrumente erinnert der Zapfenstreich gleich zu Beginn. Während der Befreiungskriege gegen Napoleon I 1813/15 lernte der preußische König Friedrich-Wilhelm III im Lager der  verbündeten Russen den Brauch kennen, nach dem üblichen Abendlied ein  Gebet folgen zu lassen. Als Gebet setzte sich dann bei den Preußen bald die Melodie des russischen Liedes „Ich bete an die Macht der Liebe“ durch. Sie wurde fester Bestandteil des Zapfenstreichs. – Sie war übrigens letztens in Freiburg auf der Kaiser-Joseph-Straße zu hören, wo ein sechsköpfiger Männerchor aus Minsk russische Lieder sang, um etwas Geld gespendet zu bekommen. – Dem Zapfenstreich wurde später noch das Deutschland-Lied hinzugefügt. Der Große Zapfenstreich wird natürlich auch immer durch einige Militärmärsche eingerahmt.  Wenn er zu Ehren einer zu verabschiedenden Persönlichkeit aufgeführt wird, werden zusätzlich von dieser Person gewünschte Musikstücke gespielt. Bundeskanzler Kohl zeigte sich 1998 bei seiner Verabschiedung recht traditionsbewusst. Er wünschte sich: 1) „Des Großen Kurfürsten Reitermarsch“  2) „Nun danket alle Gott“, gesungen 1757 nach der Schlacht bei Leuthen (bei Breslau), in der Preußen im Krieg um Schlesien über Österreich gesiegt hatte  3) Die als eine Art Europahymne verwendete  „Ode an die Freude“ (von L. van Beethoven). Bundeskanzler Schröder zeigte bei seiner Auswahl kein militärisches oder sonstiges Traditionsbewußtsein.  Die Pfarrertochter Bundeskanzlerin Merkel verdient wenigstens Lob für den Choral „Großer Gott, wir loben Dich“. – Die heute zu sehr vernachlässigte Traditionspflege ist wichtig. Sie verbindet die Generationen. Der vielfach beschworene Verfassungspatriotismus ist zu  wenig. Ihm fehlt die emotionale Bindung an das eigene Volk. –  p.bulke@web.de