Peter Bulke/ Die russische Menschenrechtsorganisation Memorial hat sich sehr um die Dokumentation sowjetischer Verbrechen verdient gemacht, damit sie nicht in Vergessenheit geraten. Die deutsche Minderheit in der Sowjetunion war in besonderem Maße betroffen. Durch Kontakte mit dem Freiburger Zwetajewa-Zentrum ist Memorial bisher nicht nur einmal in Südbaden aufgetreten.
In der Badischen Zeitung hieß es am 8. Oktober, dass Memorial zur Zeit gegen die Folgen der Auflösung ihrer Organisation kämpfe. Die international bekannte Organisation wurde 2021 auf Anweisung der Behörden aufgelöst, weil sie gegen Gesetze verstoßen haben soll. Das hängt offensichtlich damit zusammen, dass sie sich auch mit Menschenrechtsproblemen im heutigen Russland beschäftigt hat.
2017 wurde in Freiburg das Zwetajewa-Zentrum für russische Kultur eröffnet, geleitet von Dr. Elisabeth Cheaure`, Prof. für slawische Philologie an der Universität Freiburg. Hauptziel dieser Einrichtung ist der wissenschaftliche Austausch mit Russland. Natürlich kam es auch zu einer Zusammenarbeit mit Memorial. Im Jahr 2017 bot sich das Thema „100 Jahre Revolution“ geradezu an. Ein Höhepunkt hierfür war im Februar 2018 die Ausstellung zum GULAG im Gebäude der Universitätsbibliothek. Das Wort GULAG war ursprünglich eine Abkürzung für die 1930 in der UdSSR geschaffene Sonderbehörde für die Verwaltung der Arbeitslager. Heute bezeichnet dieser Begriff den gesamten Mechanismus sowjetischer Verbrechen. Die Freiburger Ausstellung mit vielen – überwiegend ins Deutsche übersetzten – Dokumenten war nur in Zusammenarbeit mit Memorial möglich. Als trauriger Höhepunkt wurde die Zeit des gr0ßen Terrors 1936 bis 1938 hervorgehoben, als über 700.000 Menschen hingerichtet wurden, meistens ohne vorangegangenes Strafverfahren. So wurden 1937 auch beide Großväter meiner künftigen (damals noch nicht geborenen) Ehefrau nachts abgeholt. Der eine wurde kurz darauf erschossen, der andere zu 10 Jahren Zwangsarbeit im kalten Norden verurteilt. Nach dessen Freilassung lebte von seiner Familie nur noch die Tochter. Sein Sohn war im Alter von 10 Jahren im Zuge der Deportation nach Kasachstan gestorben. Die Ehefrau war in einem Waldarbeitslager im Ural ums Leben gekommen.
Im Mai 2019 stellte Frau Irina Ostrovskaya vom Moskauer Memorial-Archiv im Rahmen einer Ausstellung in Lahr ihr Buch vor, das auch in deutscher Sprache erschienen ist. Es geht darin um Letzte Botschaften und Briefe von Vätern aus dem GULAG. Frau Margarita Augustin vom Zwetajewa-Zentrum sprach in Lahr von insgesamt ca. 20 Mill. Toten der sowjetischen Herrschaft, wenn man auch die Todesopfer hinzurechne, die unzählige Bauernfamilien durch Hunger zu beklagen hatten. Im Rahmen der Kollektivierung der Landwirtschaft wurde den Widerspenstigen vielfach das Saatgetreide und das Vieh weggenommen. Stalins Ziel war die Vernichtung des Bauernstandes. Sehr vorsichtig geschätzt forderte allein der ukrainische „Hungerholocaust“ mindestens 4 Mill. Tote. Ukrainische Quellen geben bis zu 10 Mill. an. (Walter Lange: Warum mussten wir in der Sowjetunion hungern?, Lichtzeichenverlag 2010)