Peter Bulke/ Der Bundestag beschloss bekanntlich, die Verbrechen im Zusammenhang mit der Kollektivierung der Landwirtschaft in der Ukraine als Völkermord einzustufen. Etliche andere Staaten hatten das zuvor schon getan. Natürlich hat der derzeitige Krieg in der Ukraine diesen Beschluss veranlasst. Zugleich dient er dem Gedenken an die Ereignisse vor 90 Jahren.
Im Ukrainischen bedeutet holod Hunger (im Russischen golod, weil es dort kein h gibt). Mor ist altslawisch und bezeichnet ein massenhaftes Sterben, nicht infolge eines plötzlichen Unglücks, sondern verteilt auf einen längeren Zeitraum wie in extremen Hungerzeiten.
Im Universitätsgebäude I in Freiburg zeigten am 26. 11. ukrainische Frauen einen ukrainischen Film mit deutschen Untertiteln zum oben genannten Thema. Später fand dann auf dem Platz der Alten Synagoge ein Gedenken an die Ereignisse vor 90 Jahren statt. Der Film zeigt keine alten Aufnahmen, sondern es handelt sich um einen neuen, sehr dramatisch gestalteten Spielfilm. Im folgenden Text geht es aber weniger um die Spielfilmpersonen und deren Handlungen, sondern um die ihnen zugrunde liegenden historischen Ereignisse.
Der damalige ukrainische Bauernstand wird als relativ wohlhabend und als sehr gottesfürchtig und traditionsverbunden dargestellt. Erste Proteste gegen die dort beginnende Kollektivierung der Landwirtschaft gab es 1930. Ihren Höhepunkt erreichten sie 1932/33, als fast sämtliches Getreide – schließlich sogar das Saatgut – auf den Höfen beschlagnahmt wurde. Ausgerechnet im Jahr zuvor, 1931, hatte es eine schlechte Ernte gegeben. Viele Bauern zogen in die Stadt Kiew, um dort etwas Geld verdienen zu können. 1933 wurde das Verlassen der Ländereien verboten. Wer Getreide versteckt hatte, musste mit Erschießung rechnen. Auch kirchliche Kunstgegenstände, selbst hochgeachtete Ikone, wurden beschlagnahmt. Im Film wird ein Pfarrer, der sich entgegen stellt, sofort erschossen. (Der Export kirchlicher Kunstgegenstände brachte der Sowjetunion aber deutlich weniger Geld ein, als erhofft worden war.) Auch viele Ukrainer, die sich anfangs dem Kommunismus zugewendet hatten, schlossen sich dem Widerstand an. Stalin wurde darauf hingewiesen, dass mit Millionen von Toten gerechnet werden müsse. Aber das störte ihn nicht. Die Kulaken (= Großbauern) galten sowieso als Staatsfeinde. Stalin hatte nur Sorge, dass die Verbrechen weltweit bekannt werden könnten. Für ihn war es deshalb wichtig, die Ukraine möglichst abzuriegeln. Erst 1991 wurde in Russland etwas mehr über die Vorgänge veröffentlicht. Die JUNGE FREIHEIT vom 25. 11. brachte ein Foto, das zeigt, wie die russische Besatzung im Jahr 2022 in Mariupol ein Denkmal beseitigen lässt, das an den Holodomor erinnert hatte. Eine deutlichere Distanzierung Russlands vom Sowjetsystem ist zu wünschen.
Dass besonders die Ukraine unter der Kollektivierung zu leiden hatte, hängt natürlich vor allem mit der großen Bedeutung dieses Gebietes für Getreideerzeugung in der Sowjetunion zusammen. Auch russische Bauern und in kleinem Ausmaß auch Deutsche wurden Opfer der Kollektivierung. Ein im Wolga-Gebiet geborener Deutscher, der ca. 1996 als Spätaussiedler nach Bad Krozingen gekommen war, erzählte mir: Zur Zeit seiner Geburt im Jahr 1937 lebten Geschwister von ihm wegen der Hungersnot nicht schon nicht mehr.
Obiges Foto zeigt ein vom jüdischen Künstler Isaak Brodski 1935 geschaffenes Gemälde.