Peter Bulke/ Bereits vor einigen Jahrzehnten sagte mir einmal ein Student der damaligen Hochschule für Erziehung in Gießen, Rechtschreibung sei nicht wichtig; wichtig sei nur, dass man sich in der modernen Industriegesellschaft verständigen kann. Diese Einstellung gegenüber unserer Sprache scheint sich in Deutschland zwischenzeitlich stark verbreitet zu haben. Die Folgen sind dramatisch: In einem Leserbrief in der Badischen Zeitung vom 01. Februar 2020 heißt es: „Die Studenten der Hochschule für Verwaltung in Kehl schreiben ihre Klausuren handschriftlich. Die Rechtschreibung liegt dabei zu meinem Ärger arg im argen.“
Anlass zu diesem Leserbrief war eine Äußerung unseres Ministerpräsidenten Kretschmann. Am 25. 01. wurde er in der BZ zitiert: „…die Bedeutung, Rechtschreibung zu pauken, nimmt ab, weil wir heute ja nur noch selten handschriftlich schreiben.“ Er wies dabei auf automatische Hinweise auf Rechtschreibefehler hin. Im gleichen Zeitungsartikel wurde berichtet, dass der Verband der Grundschullehrer diese Ansicht teile. Widerspruch kam aber von der Vorsitzenden des Deutschen Philologenverbandes, Susanne Lin-Klitzing. Die Schule sei „zu lasch“ im Umgang mit der Rechtschreibung.
Dass die Rechtschreibefähigkeit in den vergangenen Jahrzehnten schlechter geworden ist, wird jeder bestätigen, der einen gewissen Einblick hat. Das wurde auch 2017 durch eine Studie an Schülern festgestellt. Das schlechte Ergebnis ließ sich nicht allein mit dem gestiegenen Anteil an Migrantenkindern entschuldigen. Im Oktober 2017 sprach laut BZ die Rektorin der Grundschule in Pfaffenweiler von einer enormen Heterogenität auch unter den deutschen Schülern und ergänzte: „In den Familien wird nicht mehr so viel gelesen.“ Lesen und Rechtschreibung stehen bekanntlich in sehr engem Zusammenhang. Kultusministerin Susanne Eisenmann zog 2017 eine richtige Konsequenz. Sie sprach damals darüber auch im Gymnasium Staufen und begründete dort ihren Plan, den Fremdsprachenunterricht (in der Rheinschiene Französisch) im 1. und 2. Grundschuljahr wieder abzuschaffen. Er war im Schuljahr 2003/04 eingeführt worden. Bei zahlreichen Lehrern unserer Region und aus der Pädagogischen Hochschule Freiburg erntete Frau Eisenmann Widerspruch. Ihr Vorhaben wurde als Rückschritt bezeichnet. Kritik kam auch von zahlreichen Globalisierungsfreunden unter den Politikern und einigen Bürgermeistern aus Gemeinden nahe der Grenze zu Frankreich. Für Frau Eisenmann war es aber wichtig, dass etwas mehr Zeit für Lesen, Schreiben und Rechnen gewonnen wurde. Erfreulich ist es auch, dass das gelegentlich praktizierte „Schreiben nach Gehör“ nicht mehr angewendet werden sollte.
Nach einer neuen Umfrage des INSA-Instituts in Erfurt sind 61 % der Deutschen der Ansicht, dass die deutsche Sprache zunehmend verkomme. Ein Bewunderer der deutschen Sprache, der russische Regisseur Alexander Sokorov (Faust-Inszenierung in Berlin 2011) sagte am 12. 01. 2012 bei einem Interview mit 3sat: „Ich habe das Gefühl, dass die Deutschen sich davor fürchten, über ihre nationale Kultur zu reden. … Was ist das für einVolk, dass seiner eigenen Kultur den Rücken kehrt?“