Vor 80 Jahren: Deportationen in der Sowjetunion

Peter Bulke/    In Lahr war für die Zeit vom 5. bis zum 12. 9. eine Ausstellung, beginnend mit einer großen Gedenkveranstaltung, geplant. Das wurde aber coronabedingt abgesagt. Es sollte um ein Thema gehen, das in unseren Massenmedien wenig beachtet wird. Auch die Badische Zeitung hat am 28. 08. den 80. Jahrestag offensichtlich nicht für wichtig genug gehalten. Überraschend ist das nicht; denn es geht dabei nicht um Verbrechen von Deutschen, sondern um Verbrechen an Deutschen.

Am 28. 08. 1941 gab das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR einen Erlass heraus mit der Überschrift: Über die Übersiedlung der Deutschen, die in den Wolgarayons wohnen. Obiges Foto zeigt das Wappen der „Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik (ASSR) der Wolga-Deutschen“ (1924 – 1941). Deutsche hatten sich dort nach 1760 angesiedelt. Sie waren der Einladung  der russischen Zarin Katharina II. gefolgt. Die Siedler waren hauptsächlich Bauern. 1992 trafen sich in Freiburg Historiker zu einer Konferenz über die Deutschen an der Wolga. Ihr Fazit war, wie es in der Badischen Zeitung am 22. 10. 1992 hieß: Eigenständig waren sie nie. Die Deutschen stellten zwar in dem Gebiet 66 % der Bevölkerung, aber nur knapp ein Drittel der kommunistischen Funktionäre. Das Gebiet war zweisprachig. Es gab deutschsprachige Schulen und andere Ausbildungsstätten. Das Gebiet mit einer Fläche von 20.000 qkm hatte 0,5 Mill. deutsche Einwohner. Diese Zahl ging infolge der Kollektivierung der Landwirtschaft, verbunden mit einer gewaltigen Hungersnot mit unzähligen Toten, stark zurück. 1941 waren es noch 0,4 Mill. Das war ein knappes Drittel aller Deutschen in der damaligen Sowjetunion. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der „Übersiedlungs“beschluss schließlich für alle deutschen Siedlungsgebiete im europäischen Russland galt. Ziele waren Sibirien und Kasachstan. Bis Ende 1941 sind 900.000 Deutsche aus ihren Siedlungsgebieten deportiert worden.

Der Transport erfolgte in überfüllten Güterwaggons. Bis zur Erreichung des Zielortes vergingen manchmal etliche Wochen. Eine Frau aus Kehl, die als Kind dabei war, berichtete, dass aus „ihrem“ Waggon ein gestorbenes Kind aus einer Luke geworfen werden musste. Gelegentliche Fahrtunterbrechungen boten die Gelegenheit, evtl. Trinkwasser zu finden und im Freien statt in der Enge die Notdurft zu verrichten. Die damals 13-jährige Anna S., die jetzt in Offenburg wohnt, wurde mit ihrer Mutter, ihrer Großmutter und ihrem 10-jährigen Bruder zusammen mit den anderen Dorfbewohnern vom Nordkaukasus nach Kasachstan deportiert. Als Hauptproblem während des langen Transports erwähnte sie später den Trinkwassermangel. Die Großmutter überlebte die Fahrt nicht. Der Bruder starb gleich nach der Ankunft in Kasachstan. Bald verlor sie auch ihre Mutter, die in ein Arbeitslager im Ural gebracht wurde, wo sie 1944 tödlich verunglückte. Ihren Vater, der zunächst Lehrer an der deutschen Schule war, sah Anna nach 10 Jahren erstmals 1947 wieder. Er war 1937 nachts aus der Wohnung geholt und zu 10 Jahren Zwangsarbeit im Norden Russland verurteilt worden. In der gleichen Nacht, im gleichen Dorf wurde auch der Vater von Annas späterem Ehemann abgeholt und zum Tode verurteilt.