Peter Bulke/ Der Bundestag hat zur Zeit 736 Abgeordnete, soviel wie noch nie. Eigentlich sollten es 598 sein. Es gibt deshalb Vorschläge, wie diese Zahl möglichst eingehalten werden kann.
Unser Wahlrecht kombiniert zwei Wahlsysteme: (1) In den 299 Wahlkreisen werden mit der Erststimme 299 Wahlkreissieger in den Bundestag gewählt. (2) Der Bundestag setzt sich nach Parteien geordnet so zusammen, wie es deren Zweitstimmenanteil entspricht (unter Außerachtlassung der Stimmen für solche Parteien, die die 5%-Grenze nicht erreicht haben). Jedes Bundesland hat eine bestimmte Anzahl an Wahlkreisen und einen Anspruch auf eine bestimmte Mindestzahl an Abgeordneten. Wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Wahlkreissieger aufweisen kann, als ihr Abgeordnete nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen, bekommt sie zusätzliche Sitze (Überhangmandate), wie die CSU in Bayern. Denn jeder Wahlkreissieger hat das Recht auf einen Sitz. Damit aber die anderen Parteien trotzdem ihren gerechten Anteil an Sitzen (nach dem Zweitstimmenergebnis) nicht verlieren, bekommen auch sie zusätzliche Sitze (Ausgleichsmandate).
Mit der übergroßen Abgeordnetenzahl beschäftigt sich eine Bundestagskommission. Die Kommissionsobleute von SPD, Grünen und FDP haben einen Vorschlag vorgelegt, nach dem die Überhangmandate und Ausgleichsmandate wegfallen sollen. Es sollen diejenigen Wahlkreissieger leer ausgehen, die am knappsten mit einer hauchdünnen relativen Mehrheit gewonnen haben. Dann hätte z. B. 2021 die CDU-Siegerin im Wahlkreis Emmendingen-Lahr ihr Direktmandat nicht bekommen. Aus der CDU kommen Überlegungen zugunsten einer Verfassungsklage gegen das Vorhaben. In der Badischen Zeitung wurde am 20. 01. berichtet, dass das Bundesverfassungsgericht im Jahre 2012 festgestellt habe, dass das Verhältniswahlprinzip „unter angemessener Gewichtung der Direktmandate“ gelte. Wegen dieser unkonkreten Formulierung ist eine erfolgreiche Klage unsicher.
Der Regierungsvorschlag wertet den Wahlkreisgedanken ab. Vorbildliche Wahlkreiskandidaten sind Persönlichkeiten, die in ihrem Wahlkreis wohnen, sich um heimatliche Probleme kümmern und Kontakt zu den Einwohnern (besonders über Vereine) pflegen. Solche Personen werden auch unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit gewählt. Die Wahlkreisarbeit wird allerdings mit zunehmender Einwohnerzahl erschwert. Das wäre die Folge des CDU-Vorschlags, nur die Zahl der Wahlkreise zu verringern und die Regelung mit Überhang- und Ausgleichsmandaten beizubehalten. Trotzdem ist dieser Vorschlag eindeutig besser. – Erfolgreiche Wahlkreisvertreter werden sich auch weniger eng an das Programm ihrer Partei halten, wenn sie in Einzelfragen anderer Meinung sind. Sie sind eher geneigt, im Bundestag nach ihren Wertvorstellungen abzustimmen und nicht unbedingt nach Fraktionsbeschluss. Fraktionszwang gehört nicht in eine gut funktionierende Demokratie. – p.bulke@web.de