Peter Bulke/ Obige Frage stellt sich angesichts der Reaktion der Bundesregierung auf die Anschläge auf Nordstream 1 und 2. – Im Jahr 2022 lag der 100. Todestag der Politikers Egon Bahr. Er enthüllte das „Geheimnis“ der sog. „Kanzlerakte“.
Es ist schon befremdlich, dass in unserer Demokratie offiziell nichts Näheres über die Nordstream-Anschläge bekannt gegeben wird, obwohl sich die Anschläge gegen unser Land richteten. Auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Wagenknecht antwortete die Bundesregierung nur, keine Auskunft geben zu können. Gerade diese Antwort und etliche andere Tatsachen – wie die Twitter-Worte des früheren polnischen Außenministers Sikorski: „Thank you, USA“ – lassen kaum noch Zweifel zu. Erinnert sei auch an die Szene in den USA einige Monate vor den Anschlägen, als Bundeskanzler Scholz schwieg, nachdem Präsident Biden die Inbetriebnahme von Nordstream 2 ausgeschlossen hatte.
Wenn es um Deutschlands Souveränität geht, ist auch die Erinnerung an Egon Bahr unverzichtbar. Von 1972 bis 1990 gehörte er als SPD-Abgeordneter dem Bundestag an. Zeitweise hatte er auch ein Ministeramt inne. Er gilt als Architekt der Ostpolitik unter dem Schlagwort „Wandel durch Annäherung“ unter Willy Brandt, der von 1969 bis 1974 Bundeskanzler war. Egon Bahr war patriotisch gesinnt. 1957 forderte er von der SPD , dass sie dazu beitragen müsse, dass die Deutschen aus der Verkrampfung im Verhältnis zur Nation herauskommen. Obiges Foto zeigt die Überschrift eines von ihm verfassten Artikels in der Zeitung JUNGE FREIHEIT vom 14. 10. 2011. Er bezieht sich dabei hauptsächlich auf seine eigenen Aussagen, die 2009 in der ZEIT erschienen waren. Er schildert, dass dem frisch gewählten Bundeskanzler Brandt bei Amtsantritt drei Briefe an die Botschafter der Westmächte vorgelegt wurden. Es ging um die Bestätigung, was die drei Militärgouverneure 1949 im Genehmigungsschreiben zum Grundgesetz an verbindlichen Vorbehalten gemacht hatten. Deren Hoheit durfte nicht durch das Grundgesetz eingeschränkt werden. Brandt lehnte zunächst die Unterzeichnung ab, musste sich aber belehren lassen, dass schon Adenauer eine Unterwerfungserklärung unterschrieben hatte, dann auch Erhardt und Kiesinger. Helmut Schmidt konnte sich nicht erinnern, einen entsprechenden Brief vorgelegt bekommen zu haben. Kohl habe ich nicht gefragt. Der Bau der Berlner Mauer war im stillschweigenden Konsens der vier Sieger vollzogen worden. . . . Es war eine der Lebenslügen der alten BRD, 1955 mit dem Beitritt zur NATO zu behaupten, wir wären souverän geworden. Im obersten Ziel der Einheit der Nation waren wir es nie. Die Bundesregierung und die drei Westmächte hatten 1955 dasselbe Interesse: über die dauernde Einschränkung der deutschen Selbstbestimmung nicht zu sprechen.
In einem 2014 veröffentlichten Interview äußerte Dr. Dieter Deisenroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht: Im Aufenthaltsvertrag mit den Westmächten 1955 sei geregelt worden, dass dieser außer Kraft tritt mit dem Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland. Der 2+4-Vertrag sei damit vergleichbar. Deutschland hätte deshalb reagieren müssen, hat aber nichts getan, die Abhängigkeit von den Westmächten zu beenden. Dass der Bundestag nicht eingeschaltet wurde, sei verfassungsrechtlich nicht in Ordnung gewesen. p.bulke@web.de