Peter Bulke/ Einer 96-Jährigen, die in den letzten zwei Jahren des Zweiten Weltkrieges 20 Monate als Sekretärin im KZ Stutthof bei Danzig tätig war, wird zur Zeit der Prozess gemacht. Es sind zahlreiche Verhandlungstage geplant. Wie die Badische Zeitung (BZ) am 20. 10. mitteilte, ist die Angeklagte bereits in den 50er Jahren Zeugin im Prozess gegen ihren damaligen Chef, den Lagerkommandanten Hoppe, gewesen, „der später nur wegen Beihilfe zum Mord verurteilt wurde.“ – Kann die „Beihilfe“ als Schreibkraft zur Mordbeihilfe des Kommandanten überhaupt noch als Beihilfe zum Mord gelten? Leider ist die Sache kompliziert geworden. Wie in der Zeitschrift „Publik-Forum“ vom 22. 10. berichtet wird, gibt es seit 2009 im Zusammenhang mit einem anderen Prozess eine revidierte Rechtsauffassung. Was unter „Beihilfe“ zu verstehen ist, wurde deutlich ausgeweitet. – Für einen normal denkenden Bürger stellt sich die Frage: Warum tut man einen solchen Prozess einer 96-Jährigen an, obwohl ihre kurzzeitige Tätigkeit im KZ-Büro seit Jahrzehnten bekannt ist? Können sich Richter und Ankläger überhaupt in die Situation von Menschen kurz vor Kriegsende hineinversetzen?
Rückblick: 1965 wurde vielfach befürchtet, dass bis dahin ungesühnte NS-Mordtaten wegen des Ablaufs der Verjährungsfrist ungesühnt bleiben könnten; denn nach Mord galt eine 20-jährige Verjährungsfrist. Die SPD wollte sie damals rückwirkend aufheben. Doch die Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP empfand das als rechtlich problematisch. Es kam zu einem Kompromiss: Der Bundestag beschloss, dass der Beginn der Verjährungsfrist auf den 1. 1. 1950 rückwirkend festgelegt wurde. Als Begründung galt, dass deutsche Gerichte zuvor noch nicht in der Lage gewesen seien, die während der NS-Zeit begangenen Morde zu verfolgen. Die Verjährungszeit wurde damit bis Ende 1969 verlängert. Bundesjustitzminister Bucher (FDP) lehnte ein solches Gesetz ab und trat zurück. Bald kam es zu einem Regierungswechsel mit einer Großen Koalition. Die SPD musste sich auch dann mit einem Kompromiss zufrieden geben. Die Verjährungsfrist für Mord wurde nicht aufgehoben, sondern um 10 Jahre bis Ende 1979 verlängert. Dagegen stimmten die gesamte FDP-Fraktion, 90 Abgeordnete von CDU/CSU und 2 von der SPD (BZ, 4. 11. 1978). Bereits 1969 hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass sowohl eine rückwirkende Verlängerung als auch eine Aufhebung der Verjährungsfrist zulässig ist.
Obiges Foto zeigt eine Überschrift aus der BZ vom 4. 7. 1979. Der Bundestag hatte beschlossen, dass die Verjährungsfrist für Mord ganz aufgehoben wird. p.bulke@web.de