Vor über 10 Jahren: „Siegen in Afghanistan?“

 Unter der obigen Überschrift hielt der bekannte, inzwischen gestorbene Journalist Peter Scholl-Latour im Jahre 2009 einen Vortrag, der auch auf  Youtube aufgerufen werden kann. Die Antwort auf die als Frage formulierte Überschrift war für ihn klar. Sie lautete eindeutig: „Nein!“ Scholl-Latour zählte zu den deutschen Journalisten mit den gründlichsten Auslandserfahrungen. Außerdem war er als Schriftsteller tätig. Geboren wurde er 1924. Und schon 1945 zog es ihn mit der französischen Armee nach Indochina. Später als Journalist widmete er sich weiterhin insbesondere außereuropäischen Ländern, wobei es zu vielen intensiven Kontakten mit muslimischen Gesellschaften kam.

Zu seinen Aussagen: Die USA haben die Taliban gegen die sowjetische Besetzung Afghanistans mit aufgebaut. Drei Jahre war die von der Sowjetunion eingesetzte Regierung an der Macht. Dann wurde der Diktator umgebracht. Die Taliban hatten das Land zunächst im Griff. Auch der Anbau von Mohn zur Gewinnung von Opium war gering. Erst unter der vom Westen eingesetzten Regierung wurde Afghanistan zum Hauptanbaugebiet für Rauschgiftpflanzen. Der Krieg der Westmächte wurde gegen den „Internationalen Terrorismus“ geführt. Aber von Afghanistan war kein solcher Terrorismus ausgegangen, sondern der Angriff vom 11. 09. 2001 auf New-York war das Werk von Leuten aus Saudi-Arabien. Die Mehrzahl der Afghanen will weder westlich noch östlich sein. Sie will keine „ungläubige“, nichtislamische Macht im Lande haben. Die Vorstellung des Westens, durch längere Präsenz in Afghanistan dort die Demokratie heimisch zu machen, war Illusion. Ein solcher Wunsch muss im Land selber aufkommen. Obwohl Mädchen-Schulen eingerichtet wurden, sei deshalb keine Symphatie für den Westen entstanden. Merkwürdig  sei es, dass weder aus den USA noch aus Deutschland Militärfachleute sich in Russland über die Erfahrungen bei  der Kriegsführung erkundigt hatten. Die Erfahrungen hätte man in dem extrem schwierigen Gelände berücksichtigen können. Die deutschen Soldaten leben in Afghanistan hauptsächlich in einer Art Festung, aus der sie selten herauskommen und wenn, dann in gepanzerten Fahrzeugen. Es gibt keine echte Kontrolle über das Land, schon garnicht in der Nacht.

Inzwischen – über 10 Jahre später – ist die Verbreitung der modernen Kommunikationstechnik weltweit weiter fortgeschritten. Der Wunsch, in den Westen, insbesondere nach Deutschland, zu gelangen, ist stärker geworden; denn die Verlockung, dort zu relativem Wohlstand kommen zu können, ist groß. In der Ausgabe Nr. 35/2021 DER SPIEGEL (obiges Foto) wird von einem Kenner geschätzt, dass die vom Westen unterstützte Regierung von etwa 15 bis maximal 20 % der Bevölkerung befürwortet wurde. Der entsprechende Symphatiewert für die Taliban wird auf bis zu 15 % geschätzt. Die Taliban sind nicht zu beneiden. Sie stehen vor riesigen Problemen: interne Auseinandersetzungen, vor allem mit dem „Islamischen Staat“ (IS), ethnische Auseinandersetzungen (die Afghanen bilden keine einheitliche Nation) und die diesjährige Dürre mit der Folge der Nahrungsmittelknappheit.

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