Von: Albrecht Künstle
– Nicht nur in Sachen Meinungsfreiheit Weichen falsch gestellt
– Der Autor stellte zum Ausbau der Rheintalbahn seine Sicht vor:
– Am Oberrhein stellte die Bahn die Weichen in eine Sackgasse
Die Deutsche Bahn plant seit fast 50 Jahren den Ausbau der Rheintalbahn, die Hauptverbindung zwischen den Tiefseehäfen Rotterdam und Genua. 1990 wurde das Jahrhundertprojekt auf Eis gelegt, weil das Geld in Ostdeutschland und für die neue Hauptstadt Berlin, den Reichstag und das größte Kanzleramt der westlichen Welt gebraucht wurde. 13 Jahre später wurden die alten Pläne wieder aus der Mottenkiste geholt, obwohl sich die Prämissen geändert hatten. Im Erörterungstermin 2008 gelang es uns die Planfeststellungbehörden davon zu überzeugen, dass der Güterfernverkehr besser entlang des Fernverkehrsweg Autobahn verlaufen sollte, nur ein bis drei Kilometer entfernt. Es dauerte weitere acht Jahre bis der Bundestag Ende 2016 die Trassenvariante Südbadens beschloss. Dann dauerte es weitere acht Jahre, bis Anfang Juli 2024 die entsprechend geänderte Bahnplanung erörtert wurde.
Die bestehende Rheintalbahn zwischen Offenburg und Riegel am Kaiserstuhl soll komplett zerstört werden, sechs Jahre lang kein Nahverkehrszug mehr fahren und so lange die ICEs an der Autobahn entlang umgeleitet werden. In diesen sechs Jahren soll dann eine total neue 2-4gleisige neue Strecke gebaut werden, für ICEs mit einer Streckengeschwindigkeit von 250 km/h. Weil die ICEs dann lauter sind als Güterzüge, müssten die Lärmschutzwände durch die Wohnorte von jetzt drei auf 6,5 Meter erhöht werden – höher als die Berliner Mauer von vier Metern war – etwa wie die Chinesische Mauer. Die Badische Mauer mit den Gleisen dazwischen soll jedenfalls im Jahr 2042 fertig sein. Inzwischen haben sich jedoch die Rahmenbedingungen erneut geändert, weshalb unsere Region auch die ICEs an der Autobahn entlang gebündelt führen will, wie dies woanders auch üblich ist: Fernverkehrsweg zu Fernverkehrsweg! Dass sich auf den 40 km Länge beide Zuggattungen „vertragen“, zeigten wir mit durchgerechneten Zuglaufplänen auf. Ich übernahm die Prognose, wie sich die beiden Verkehre wahrscheinlich entwickeln werden. Hierzu meine Ausführungen im Erörterungstermin:
Vorbemerkung zu den Verkehrszahlen im Rahmen des gebotenen Prognosehorizonts:
Nur ganz kurz, weil Prof. Dr. Kupfer die Problematik schon kompetenter vorstellte. Aus einem VG-Urteil: „Eine gesetzliche Vorgabe dazu, welchen Zeitraum die Planfeststellungsbehörde bei der Ermittlung der Verkehrsentwicklung zugrunde zu legen hat, existiert nicht… Der Prognosezeitraum darf aber zu nicht kurz bemessen sein, insbesondere muss er den Zeitpunkt der voraussichtlichen Verkehrseröffnung … umfassen. In der Praxis wird der sog. Prognosehorizont für die Verkehrsentwicklung regelmäßig auf 10 bis 20 Jahre erstreckt … Das Bundesverwaltungsgericht hat insoweit einen Prognosehorizont von 15 Jahren anerkannt …“ Zitat Ende.
Für die Prognose hinsichtlich der Berechnung des Schallschutzes ist der Prognosehorizont eigentlich weniger bedeutend. Denn ob zwei Güterzüge mehr oder weniger pro Stunde fahren, macht „den Kohl nicht fett“, denn sogar eine Verdoppelung oder Halbierung des Zugaufkommens macht für den Beurteilungspegel nur drei Dezibel aus.
Der erforderlichen Gleisinfrastruktur hingegen kann ein ICE oder Nahverkehrszug mehr pro Stunde eine komplette Planung aushebeln und zur Makulatur werden, weil dadurch Nahverkehrszüge auf der Strecke bleiben können oder Güterzüge blockiert würden. Deshalb ist dieser Prognosehorizont in jedem Fall auf den Zeitraum nach der Fertigstellung abzustellen – vorliegend auf das Jahr 2042 und folgende! Diesem Komplex, der Perspektive und Konkurrenz der verschiedenen Zuggattungen, ist mein Part gewidmet:
Meine These: Der Schienengüterverkehr durchs Oberrheintal wird über die zugrunde gelegte Zugzahlprognose hinaus kaum noch zunehmen – der Personenverkehr auf der Schiene umso mehr! Diese Erkenntnisse ermöglichen bzw. erfordern eine Anpassung der Bahnplanung betreffs der künftigen Gleisinfrastruktur, um künftige Anforderungen an gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen erfüllen zu können. Auch nur zwei Gleise an der Autobahn ermöglichen neben dem Güterverkehr dauerhaften ICE-Verkehr – nicht nur für die sechs Jahre der Zerstörung der jetzigen Rheintalbahn.
Von der These nun zu den Rahmenbedingungen und Fakten:
Als verkehrliche Zielsetzung des Aus- und Neubaus der Rheintalbahn wurde bisher für den Güterverkehrskorridor Rotterdam – Genua auch nach 2030 von weiter steigenden Zugzahlen ausgegangen. Diese Prognose dürfte jedoch nicht mehr zutreffen, weil der Güterverkehr aus Fernost immer weniger über Rotterdam – Genua in den Mittelmeerraum abgewickelt wird. Denn China engagierte sich selbst im Mittelmeer, baute Seehäfen aus und schlägt seine Waren zunehmend dort um, ohne Umweg durch Deutschland bzw. unsere Rheintalbahn. Außerdem werden im Rahmen der Neuen Seidenstraße Gütertransporte zwischen Fernost und Europa auf der Schiene abgewickelt. Nach Frankreich und Spanien verläuft die Strecke durch Ostdeutschland und Bayern, kurz durch die Schweiz weiter nach Südwesteuropa, jedenfalls nicht über die Rheintalbahn. Der Zielbahnhof von Fernost nach Deutschland ist Duisburg. Weiterhin gibt es immer mehr politischen Widerstand gegen die energieintensive Globalisierung allgemein, Vorbehalte hinsichtlich der Rolle Chinas in der Welt, insbesondere dem Handel mit China.
Die aktuelle Auseinandersetzung zwischen Europa und insbesondere China, zunehmender Protektionismus, die Verhängung von „Strafzöllen“ und Errichtung allgemeiner Zollbarrieren für wichtige Handelsgüter, Boykottandrohungen wegen deren Ansprüche in Taiwan und im südchinesischen Meer, werden ihre Spuren auch in Deutschland hinterlassen. Aus diesen und anderen Gründen dürfte die Zahl derGüterzüge über die bekannte Prognose hinaus kaum noch zunehmen. Die Rheintalbahn als international bedeutsame Verkehrsachse verliert an Bedeutung. Ihr wird künftig aber noch eine innereuropäische Bedeutung verbleiben.
Deutschland verliert seine wirtschaftliche Potenz, was auch auf den Güterverkehr durchschlagen wird. Mit dem Beginn der großen Zuwanderung im Jahr 2015 fiel unser Land im Ranking der Wettbewerbsfähigkeit international von Jahr zu Jahr vom Platz 6 auf den Platz 24 in diesem Jahr ab. Bei der wirtschaftlichen Effizienz rutschten wir sogar auf den Platz 35 ab. Warum ich auf das Jahr 2015 abhebe: Die Regierung blieb die gleiche, nur die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen änderten sich. Deshalb ist auch nicht anzunehmen, dass ein Regierungswechsel bei gleichen Rahmenbedingungen plötzlich einen wieder positiven Verlauf nehmen könnte.
In jedem untersuchten Teilbereiche Wirtschaftsleistung, Infrastruktur, Effizienz der öffentlichen Hand, verloren wir gegenüber dem Vorjahr 5 bis 6 Plätze. „Die industrielle Basis schwindet“ war der Titel eines Artikels in der Badischen Zeitung vom 29. Mai „Tausende Firmen in Deutschland haben im vergangenen Jahr aufgegeben“, wurde die Studie zitiert. Sie werden nicht mehr zurückkehren und keine Waren mehr per Bahn exportieren. Die Exportquote bewegt sich schon seit dem Jahr 2012 seitwärts und fiel mit Ausnahme des Jahres 2022 weiter ab – die Importquote noch stärker. Unser Land entwickelt sich vom Industriestandort hin zu einer Spaßgesellschaft, wie die rasante Entwicklung des Europapark zeigt. Alles zusammen betrachtete bedeutet weniger Transportleistung, auch auf der Schiene.
Zwischenfazit: Einem Land, das seit zehn Jahren an wirtschaftlicher Bedeutung, der Wettbewerbsfähigkeit und anderer Parameter verloren hat, kann man seriös kaum prognostizieren, dass beim Start des Jahrhundertprojekts Bahnausbau am Oberrhein im Jahr 2042 alles wieder in Butter sein wird und unser Land wieder zu dem wird, was es einmal war. Das ist keine Kaffeesatzleserei, meine Prognose beruht auf faktengestützte Wahrscheinlichkeiten.
Das dichtbesiedelte Deutschland wird auch nicht mehr europäische Drehscheibe im Warenverkehr sein. Die Schweiz hat inzwischen resigniert und macht ihr eigenes Ding. Sie fördert die Verkehrsachse durchs Elsass und verknüpft diese aktuell mit dem Knoten Basel. Das Profil-der-Elsässerbahn-soll-für-höhere-Güterzüge-angepasst-werden. Die Schweiz hat dazu ihre SBB beauftragt. Die EU, die französische Regierung und der Schweizer Bundesrat wollen die NEAT-Strecken via Frankreich besser zugänglich machen. Und sie werden es tun, die Planfeststellung läuft gerade. So sollen Güterzüge mit Sattelaufliegern von vier Metern Eckhöhe auch via Elsässerbahn zum Gotthard- und Lötschberg-Basistunnel gelangen. Diese Güterzüge durchs Elsass und weiter durch Basel werden nicht mehr auf der Rheintalbahn fahren.
Auch verliert das System Bahn als solches ihre Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem Güterverkehr auf der Straße. Der Bahnbetrieb ist technisch komplexer, erfordert eine längerfristige Planung und Realisierung und sie ist störanfälliger. Im Fall von Störungen im Bahnbetrieb müssen Züge weiträumig umgeleitet werden. LKW-Verkehr dagegen läuft bei Unfällen auf der Autobahn über Umleitungsstraßen ein paar Kilometer weiter. Schleppend, aber er läuft. Bei Personenunfällen auf der Schiene werden oft alle Gleise gesperrt, auf der Straße nur die betroffene Spur. Ein LKW-Fahrer darf fast alle Vehikel fahren, ein Lokführer nur spezielle Züge und das nicht auf allen Strecken. Erscheint ein Lokführer verspätet zum Dienst, gerät fast alles großräumig durcheinander. Verpennt ein LKW-Fahrer, bekommt das nur sein Chef mit – wenn überhaupt. Der Straßenverkehr ist einfacher und viel flexibler als der Schienenverkehr. Der Anteil des Schienengüterverkehrs am Gesamtverkehr ist an seine Grenzen gestoßen. Der angestrebte Modal-Split von 25 Prozent ist höchst spekulativ.
Jetzt zum entscheidenden Punkt:
Der Personenverkehr auf der Schiene nimmt dagegen weiter an Bedeutung zu. Die Bevölkerung wächst und wächst. Innerhalb von zehn Jahren nahm sie um über 3,9 Millionen zu (siehe Excel-Anhang) und ein Ende ist nicht abzusehen. Auch ohne weitere Zuwanderung, die von den Unternehmen zu Hunderttausenden jährlich gefordert wird, sorgt der Kinderreichtum derer die schon hier sind für weiteren Bevölkerungszuwachs und damit auch für einen entsprechend noch höheren Mobilitätsbedarf. Am 22. Juni berichtete die Badische Zeitung „Die Kurve zeigt weiter nach oben“. Für das Jahr 2040 werden z.B. für Freiburg 265.000 Einwohner prognostiziert, 30.000 mehr als heute. Dieselbe Entwicklung wird für die Landkreise Breisgau-Hochschwarzwald, Emmendingen und Ortenau vorhergesagt. Mehr Menschen bedeuten mehr Mobilität, mehr Personenverkehr. Deutschlandweit werden 85,5 Mio. Einwohner vorhergesagt, also noch einmal über eine Million mehr als heute.
Aber auch ohne die angestrebte Verkehrswende und ohne den Bevölkerungszuwachs, wird alleine das Deutschlandticket und später der Deutschlandtakt zu berücksichtigen sein und der Personenverkehr auf der Schiene stärker nachgefragt werden. Insbesondere auf unserer Rheintalbahn mit ihren Nahverkehrszügen, die schon heute überlastet und oftmals so überfüllt sind, dass Fahrgäste nicht in Züge einsteigen können, sogar unter Polizeiandrohung überfüllte Züge verlassen müssen.
Was bedeutet das alles für die anstehende Bahnplanung:
Auf der neuen Gütertrasse an der Autobahn bieten sich somit perspektivisch freie Zeitfenster/Trassen. Diese können für den Personenfernverkehr, also von ICEs genutzt werden. Dass, und wie dasmöglich ist, zeigen unsere Zuglaufdiagramme auf, die von uns präsentiert wurden. 4 oder 5 Güterzüge pro Stunde an der Autobahn entlang bieten noch Trassenfenster für ICEs – wenn man in diesem Planfeststellungsabschnitt die Autobahntrasse ordentlich mit der Rheintalbahn verknüpft. Was erfordert, dass die vorliegende Bahnplanung mit der S-Schikane zurückgezogen oder durch das Eisenbahn-Bundesamt ordentlich gekündigt wird. Wir von der Bürgerinitiative Bahnprotest Herbolzheim-Kenzingen e.V. kündigen diese Fehlplanung heute außerordentlich auf. Denn einerseits wird beklagt, dass die Geschwindigkeitsbeschränkungen in Rastatt, im Offenburger Bahngraben, südlich Freiburg und dem Isteiner Klotz auf bis 70 km/h ein großer Hemmschuh des Bahnbetriebs sind.
Andererseits ist geplant, auf der Südspange bei Riegel ebenfalls nur 80 km/h langsam zu fahren. Und das, obwohl auf diesen Gleisen in den unnötigen sechs Jahren Umbauzeit der Rheintalbahn immerhin fast 158.000 ICEs verkehren würden.(72 täglich x 365 Tage x 6 Jahre)
Fazit: Notwendig ist deshalb eine fast geradlinige Verbindungsspange, die eine flexible Nutzung aller Gleise bei kurzfristigen Störungen, aber auch bei künftig verändertem Bedarf ermöglicht. Mit dem heutigen Erörterungstermin werden die Weichen gestellt. Entweder eine Weichenstellung in die Sackgasse DB-Planung. Oder die von uns geforderte zukunftsfähige Bahnplanung, welche die Türe für den möglichen ICE-Verkehr an der Autobahn offenhält.
Und überhaupt: Was 6 Jahre lang funktionieren soll/muss – zusammen mit den Güterzügen auch die ICEs an der Autobahn entlang verkehren zu lassen – liefert eigentlich den besten Beweis, dass es auch 60 Jahre funktionieren müsste. Die S-Kurve der DB wirkt für unbefangene Dritte wie ein Fragezeichen in der Landschaft. Verknüpfung wir die beiden Schienenwege über eine ICE-taugliche Gerade und machen so ein Ausrufezeichen daraus – Punkt.
Erstveröffentlichung bei https://ansage.org/auch-die-em-logistik-zeigt-die-bahn-hat-fertig/