
Von: Albrecht Künstle
– 1995 wurde der Baum Pflegeversicherung gepflanzt
– 2025 wird die Axt an den wuchernden Wald gelegt
– Was so ein Pflegefall zu Hause oder im Heim kostet
Bei der Einführung der Gesetzlichen Pflegeversicherung im Jahr 1995 wurden für Pflegebedürftige drei Pflegestufen eingeführt. Zu Beginn des Jahres 2017 wurden aus den drei Stufen fünf Pflegegrade gemacht. Doch das Reformkarussell drehte sich weiter – und bei erhöhter Geschwindigkeit scheinen nun die Versicherten mit dem Pflegegrad 1 aus den Sesseln zu fliegen. Der Gesetzgeber hat der Pflegeversicherung, wie auch der Gesetzliche Rentenversicherung, zu viel aufgehalst und dabei die kaufmännischen Regeln sträflich missachtet. Mit den doppelten 1,8-Prozent-Beiträgen (jeweils einmal der Arbeitgeber- und einmal der Arbeitnehmerseite) – Kinderlose sogar 2,4 Prozent – sind die umfangreichen Aufgaben und Ausgaben der Pflegeversicherung kaum zu bestreiten.
Dies übrigens auch dadurch nicht, indem man nun auch noch die Rentnerinnen und Rentner mit Pflegeversicherungsbeiträgen belegt. Und was ist das Erste, was passiert wenn in diesem Land „über seine Verhältnisse gelebt“ wird (Kanzler Merz)? Man beginnt nach Berliner Manier nach dem Prinzip: Treppen werden von oben nach unten gekehrt, auch bekannt als “den Letzten beißen die Hunde”. Der Pflegegrad 1 steht deshalb zur Disposition, weil man bei den hier geführten 861.000 Leistungsbeziehern rund 1,8 Mrd. Euro einsparen will (mehr dazu siehe hier).
Heim oder häusliche Pflege?
In diesem Beitrag soll es allerdings um etwas anderes gehen: Nämlich um die Frage, ob die Heimunterbringung wirklich teurer ist als die Pflege zu Hause in den vertrauten Wänden. Dazu erreichte mich der Bericht über den aktuelle Fall eines Bekannten: Dessen Schwester war ohne Unterbrechung lebenslang berufstätig, verdiente mittelmäßig und arbeitete sogar noch über die reguläre Altersgrenze hinaus. Damit brachte sie es auf einen Auszahlungsbetrag von aktuell stolzen 2.200 Euro Monatsrente. Damit könnte sie eigentlich gut leben und ihre Wohnung halten. Aber dann brach sie – zufällig ein Jahr nach ihrer Coronaimpfung – zusammen, lag bewusstlos in der Wohnung und wurde quasi in letzter Minute von Nachbarn entdeckt. Seither wechselte ihr Zustand zwischen Aufenthalten im Krankenhaus, Kurzzeitpflege und wenige Wochen zu Hause unter Betreuung eines ambulanten Pflegedienstes. Nun ist sie nur noch zu Hause. Sie will in kein Pflegeheim.
Wie aber sieht es finanziell aus? Eine osteuropäische “Hilfskraft” – tatsächlich pflegen dürfen nur die Wenigsten – kostet 2.500 bis 3.500 Euro, siehe Altenpflege respektive 24-Stunden-Pflege (wovon etwa zur Hälfte die Konten der zahllosen Vermittlungsagenturen „gepflegt“ werden). Die verpflichtete permanente Betreuungskraft – die propagierten „24 Stunden, sieben Tage“ gibt es natürlich nicht, weder arbeitsrechtlich noch tatsächlich – kostet im konkreten Fall 2.700 Euro monatlich im Jahresschnitt (13 Feiertage kosten das Doppelte, also 180 Euro am Tag statt 90). Dazu kommen die Fahrtkosten für die Anreise und nach Hause, was bei sechsmaligem Wechsel im Jahr weitere 1.800 Euro ausmacht (einheimische Beschäftigte zahlen die Fahrtkosten zum Arbeitsort selbst). Der Jahresdurchschnitt der Kosten liegt also bei 2.950 Euro im Monat.
Hilfskräfte plus Nachbarschaftshilfe
Neben den Betreuungskosten kommen Verpflegungskosten der Hilfskraft von etwa 300 bis 400 Euro im Monat hinzu (einheimische Beschäftigte zahlen ihr Essen und Trinken selbst), macht insgesamt also ca. 3.300 Euro. Weiter hinzu kommen 800 Euro Kosten für die Betreuung durch die „ehrenamtliche Nachbarschaftshilfe“ eines karitativen Verbandes – weil die Sprachkenntnisse der Auslandskraft für wichtige Dinge wie Terminierung von Arztbesuchen oder der Fahrten in die Praxis, Einkaufen und sämtliche organisatorischen Dinge nicht ausreichen. Die Nachbarschaftshilfe wird gebraucht, weil kein Verwandter der zu pflegenden Person in der Nähe wohnt. Wäre das der Fall und Kinder oder Geschwister könnten die Betreuung übernehmen, würden diese 800 Euro entfallen.
Somit sind wir mittlerweile bei 4.100 Euro Kosten für die ausländische Betreuungskraft plus Nachbarschaftshilfe. Eine zusätzlich erforderliche Tagespflege erhält eine monatliche (Zu)Zahlung in Höhe von 280 Euro (für Aktivitäten, Essen, Mobilisation), während die häuslichen Hilfskräfte entlastet werden. Und die eigenen Lebenserhaltungskosten der zu pflegenden Person – also für Essen und Trinken an den übrigen Tagen – betragen nochmals rund 350 Euro. Dazu kommen noch die Nebenkosten für die Wohnung (Heizung, Hausgeld an die Hausverwaltung….), Strom und Grundsteuer, die rund 400 Euro im Monat betragen. In der Summe kostet das Leben und die Pflege zu Hause im konkreten Fall also 5.130 Euro. Runden wir großzügig ab auf 5.000 Euro im Monat.
…und irgendwann ist das Haus weg
Eine Heimunterbringung würde in Baden-Württemberg hingegen „nur“ 3.000 Euro im Monat kosten (gemäß durchschnittlichen Pflegekosten) und beinhaltet alles, außer 125,64 Euro monatlichem Taschengeld für die Patienten. Die Heimunterbringung ist damit also rund 2.000 Euro „günstiger“, wenn man diesen Begriff hier überhaupt verwenden kann. Im Beispiel der pflegebedürftigen Schwester meines Bekannten betragen deren Einkünfte insgesamt rund 2.800 Euro im Monat (2.200 Euro Rente, 600 Euro Pflegesachleistung für Pflegegrad 3). Bei einer Heimunterbringung gibt’s kein Pflegegeld mehr; dieses wird als Pflegesachleistung vom Heim abgerechnet. Fazit: Bei einer Heimunterbringung dauert es somit lediglich einige Monate länger, bis die lebenslang angesammelten Ersparnisse aufgezehrt sind.
Und was ist dann? Dann kommt das Sozialamt und greift auf das „Vermögen“ der Patientin zurück. In einem Fall aus einer Nachbargemeinde bat das Amt die Angehörigen einer Patientin mit Betreuungsvollmacht für den Pflegefall, das gemeinsame alte Elternhaus zu verkaufen – und das zu einem angesetzten utopischen Preis, der am Markt überhaupt nicht zu realisieren war. Der Schwester platzte schließlich der Kragen: Sie bot das Haus dem Sozialamt direkt an, damit dieses es verhökern solle.
Kreuzfahrtschiff statt Pflegeheim?
Im Fall der Schwester meines Bekannten könnte bei Heimunterbringung ihre Wohnung vermietet werden. Dann kämen nochmals rund 1.000 Euro Mieteinnahmen hinzu, wodurch die Einnahmen dann fast ausreichen würden (2.200 Rente plus 1.000 Euro Miete, abzüglich 400 Nebenkosten der Wohnung, die ja nur teilweise auf Mieter umlegbar sind), um die anfallenden 3.000 Euro Heimkosten zu decken – weil dann eben nur noch die Kosten der Heimunterbringung anfallen. Weigert sich die Pflegebedürftige wie im genannten Beispiel aber partout, in ein Heim zu gehen, würde wohl das Sozialamt die Wohnung „erben“, sobald die Ersparnisse aufgebraucht sind, um aus dem Sachwert der Immobilie die laufenden Kosten zu bestreiten. Ob das Sozialamt in einem solchen “Erbfall” dann – wie Verwandte auch – Erbschaftssteuer zahlen muss?
Ich werde demnächst eine dritte Form der Unterbringung austesten. Das Domizil ist bestens ausgestattet, mit allem Komfort, den man sich denken kann. Der einzige “Nachteil” (?): Es handelt sich um eine Insel – und zwar eine schwimmende, nämlich ein Kreuzfahrtschiff. Wenn man die Kosten der gebuchten 18-Tage-Reise auf einen Monat hochrechnet, sind es runde 5.000 Euro – und damit auch nicht mehr als es kosten würde, sich daheim pflegen zu lassen. Allerdings sollte man dazu noch halbwegs gesund sein. Auch wenn die ärztliche Versorgung auf solch einem Luxuskahn sichergesellt ist, wie man es aus der Sendung „Traumschiff“ kennt…


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