Die Wiedervereinigung vor 30 Jahren kam unerwartet schnell. Wie wurde in Westdeutschland im Jahr zuvor über dieses Thema diskutiert? Die Badische Zeitung berichtete am 20. 01. 1989, dass der rechte Flügel der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag einen Beschluss herbeiführen wollte, in dem „das Anliegen der Deutschen auf Wiedervereinigung voll und uneingeschränkt“ bekräftigt wird. Deutschland solle sich das Recht vorbehalten, aus der EU auszutreten, falls diese Mitgliedschaft einer Wiedervereinigung entgegen stehe. Führender Kopf der Initiative war Jürgen Todenhöfer. Der Bundestag lehnte einen solchen Beschluss ab. Bundeskanzler Helmut Kohl wollte auf keinen Fall die Mitgliedschaft der BRD in der EU gefährden. – Am 23. 09. 89 schrieb die BZ: „Und während Politikern wie dem SPD-Ehrenvorsitzenden Willy Brandt schon bei dem Wort Wiedervereinigung unwohl ist, weil es zu sehr an Bismarcks Kaiserreich erinnert, geht die Bewegung um den rechten Flügel der Union längst weiter.“
Brandt habe Bedenken gegen den Begriff Wiedervereinigung, weil er bei den Nachbarstaaten leicht zu Missverständnissen führe. Er begrüßte die Position Kohls. – Am 12. 10. 89 veröffentlichte die Illustrierte BUNTE das Ergebnis einer von ihr in Auftrag gegebenen Meinungsumfrage. Danach meinten 89 % der Befragten, dass sie für die Wiedervereinigung stimmen würden. Aber nur 53 % konnten sich vorstellen, dass es tatsächlich zur Wiedervereinigung kommen werde. – Die BUNTE brachte am 09. 11. 89 einen Kommentar Todenhöfers (CDU): „Die Strategie, die Wiedervereinigung von der Einigung Europas abhängig zu machen, ist ein Versuch, in Deutschland das Urprinzip jeder Demokratie, das Selbstbestimmungsrecht, auf den St.-Nimmerleinstag zu vertagen … Kohl und Genscher müssen dieser Verfassungspflicht gerecht werden und einen konkreten Plan zur Wiedervereinigung vorlegen. Durch Aussitzen lässt sich diese Frage nicht lösen.“
Am 29. 11. 89 berichtete die gesamte Tagespresse über die 10 Punkte Kohls für einen deutsch-deutschen Weg. Kohl war auf den fahrenden Zug aufgesprungen. Tags darauf sagten allein die Überschriften (BZ am 30. 11.) viel über die Reaktion westeuropäischer Staaten: „Gemischte Gefühle in Paris“ und „Bedenken und geheime Ängste bei den Briten“. Das Ostpreußenblatt (heute: Preußische Allgemeine) lobte Bundeskanzler Kohl. Er habe das Gesetz des Handelns an sich gerissen und letzte Zweifel im In- und Ausland beseitigt. Walter Momper, Regierender Bürgermeister von Westberlin (SPD) sagte laut BZ vom 30. 12. 89: „Ein übermächtiges Großdeutschland im Herzen Europas reißt nur die alten Wunden auf.“